A Matter of form
Silvie Aigner, 2019

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Die Bilder von Laurent Ajina entwickeln sich als Prozess auf der Leinwand. Die Linienführung ist nicht von Beginn an festgelegt, sondern ergibt sich während des Arbeitens. Ursprünglich als Architekt ausgebildet, steht auch in seiner künstlerischen Arbeit die gebaute Struktur der Stadt im Mittelpunkt seines an der Schnittstelle zwischen Malerei und Zeichnung angesiedelten Werks. Doch interessieren ihn weniger reale Stadtlandschaften, als der Rhythmus einer Stadt – die Bewegung der Menschen, die Liniennetze, die der öffentliche Verkehr durch die Stadt zieht oder die Verkehrs- und Straßenschilder und Bodenmarkierungen, die ein farbiges Netzwerk im Straßengefüge bilden. Diese Neonfarben manifestieren sich vor allem in seinen jüngsten Arbeiten, in denen Laurent Ajina auf die weiße Leinwand die mit dem Marker gezogenen Linien durch breite Farbbänder verstärkt. Eine neue Werkserie, die seine bisher zumeist in grau, schwarz, anthrazit bis hin zu türkis-blau gehaltenen Leinwände ablöst. Wenngleich stets persönliche Eindrücke und Wahrnehmungen des Künstlers in das Bild einfließen, die sich mit unseren eigenen Assoziationen und Vorstellungen einer Stadt verweben, sind seine Bilder nicht deskriptiv. Bis auf eine Ausnahme, als er mit der Darstellung der Öltürme politisch Bezug auf den Krieg im Irak nimmt und damit einer gewissen Sprachlosigkeit ob der Ereignisse im Geburtsland seines Vaters Ausdruck verlieh. „Flushing M“ entstand 2013 und ist, so Laurent Ajina, „ein visueller Dialog meiner Kindheitserinnerungen an die Landschaft des Irak und Fragmenten aus einer Rede des US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush. Meine Erinnerungen an die Reisen in der Kindheit durch den Irak werden überlagert von der zeitgenössischen Definition des Landes, generiert auch durch sensationsüberfrachtende Medienkommunikation. Die in das Bild eingestreuten Sätze bleiben rätselhaft, sie sind fragmentiert und aus dem Kontext der Rede herausgenommen. Sie bilden eine Art Bildlegende als Ausgangsbasis der Zeichnung.“ Das Bild wird zu einem Tableau, auf dem Motiv, Reflexion und künstlerische Interpretation aufeinandertreffen. Doch zumeist stehen die abstrakten formalen Charakteristika des Urbanen im Vordergrund. Dahinter verbergen sich Biotope unterschiedlicher Konnotation sowie Kulminationspunkte individueller Geschichte. Doch auch wenn die Bilder Erinnerungen des Künstlers an Landschaftstypen, Stadtpläne und architektonische Formen abrufen und zueinander in Bezug stellen, zeigen sie ein abstraktes Liniengefüge jenseits eines literarischen oder dokumentarischen Blickwinkels. Der Dialog der – mit schwarzem Acrylmarker gezogenen – Linie und der Farben auf der Leinwand steht eindeutig im Vordergrund. Die Linie selbst entzieht sich jeder Beschreibung. Eigentlich sind es Chiffren, die der Künstler gezielt einsetzt. Mittels der schwarzen Linien bildet er ein rhythmisches Netzwerk, das er zum Teil unter und über die Farbe legt. Die Zeichnungen bringt er sowohl auf Leinwand als auch auf Karton auf, den er gefaltet oder ungefaltet zu stelenartigen Skulpturen formt. Seit 2011 stellt er diese auch an reale Orte und forciert so eine Interaktion seiner künstlerischen Arbeiten mit dem jeweiligen realen Umfeld. Dieses könnte nicht unterschiedlicher sein und reicht von den Dächern Beiruts mit Satellitenanlagen und Antennen, über griechische Tempelanlagen, den engen Straßen von Venedig, bis hin zur weitläufigen ebenen Feldlandschaft in Niederösterreich an der Grenze zu Ungarn. Hier wird die Skulptur zum Mahnmal und erinnert an die Grenzwachtürme zur Zeit des Eisernen Vorhanges. Ajina benützt für seine Skulpturen ausschließlich bereits benützte Kartons. Sie dienten zum Transport und werden von ihm gesammelt, entfaltet, bezeichnet und wieder transportiert. Der letzte Schritt ist, so Ajina, die Installation der gebrauchten Kartons im neutralen White Cube einer Galerie. Zuweilen bemalt er seine Skulpturen, wie das „Ersatzmonument“ von 2017. Ein Karton aus Türkis, sparsam überzogen mit einer Zeichnung, der wie eine Stele im Raum steht. „Aus dem Wegwerfmaterial wird durch die Farbe und den neuen Kontext plötzlich wieder etwas Wertvolles“, so Ajina. Viele seiner Bilder wirken wie Wandobjekte, vor allem dann, wenn er auch hier statt der Leinwand den Karton als Bildträger verwendet. Dass der Künstler tatsächlich seine Linien über Wände zieht, ist daher wenig überraschend. Zuweilen integriert er dabei seine Bilder in die Wandzeichnung, wie 2018 in seiner Einzelausstellung in der Pariser Galerie Bertrand Grimont oder er nimmt auf die architektonischen Gegebenheiten Bezug – indem er sie schlichtweg mit seinen Linien überzieht. Für einen Privatsammler realisierte er unlängst eine große Wandmalerei auf schwarzem und weißem Grund in der Wiener Erdbergstraße.

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